Der Kantonsrat hat im Februar 2024 den Entwurf einer totalrevidierten Kantonsverfassung in 1. Lesung beraten und ihn danach der Volksdiskussion unterstellt. Der Regierungsrat hat die Anliegen und Anträge der 1. Lesung sowie Eingaben aus den 43 Volksdiskussionsbeiträgen für die 2. Lesung aufgenommen, dazu Stellung genommen und die Vorlage erneut geprüft.
Wahlverfahren
In 1. Lesung wurde der Regierungsrat beauftragt, einen Vorschlag für die Wahl des Kantonsrates auszuarbeiten, der grundsätzlich die Beibehaltung des bestehenden Mischwahlsystems vorsieht und im Einklang mit den bundesrechtlichen Vorgaben steht. Aktuell gilt das Mehrheitswahlverfahren (Majorz). Die Gemeinden können jedoch das Verhältniswahlverfahren (Proporz) einführen. Der Proporz kommt derzeit in Herisau zur Anwendung.
Der Regierungsrat hält am Mischwahlsystem fest. Neu ist es aber nicht mehr den Gemeinden überlassen, ob sie das Verhältniswahlverfahren einführen. Ab einer gewissen Grösse des Wahlkreises ist dieses nun zwingend. Der Regierungsrat schlägt vor, das Verhältniswahlverfahren auf alle Gemeinden mit fünf oder mehr Sitzen auszudehnen. Betroffen wären neben Herisau neu Teufen (7 Sitze), Speicher (5 Sitze) und Heiden (5 Sitze). Der Regierungsrat begründet die Änderung mit den bundesrechtlichen Anforderungen an das Wahlverfahren. Die Kantone müssen bei deren Ausgestaltung die in der Bundesverfassung festgehaltenen Bestimmungen bezüglich Wahl- und Abstimmungsfreiheit berücksichtigen. Eine der zentralen Anforderungen betrifft die Erfolgswertgleichheit, die besagt, dass alle Stimmen gleich zum Wahlergebnis beitragen müssen. Im reinen Majorzwahlverfahren bleibt die Erfolgswertgleichheit unerfüllt, da Stimmen ohne Mehrheit keinen Einfluss haben. Diese Einschränkung ist laut Bundesgericht nur dann gerechtfertigt, wenn Parteien im Wahlgebiet eine geringe Rolle spielen. In den Gemeinden Teufen, Speicher und Heiden spielt die Parteizugehörigkeit aber eine zunehmend wichtige Rolle. Die Einführung im Sinne der bundesrechtlichen Anforderungen ist daher für den Regierungsrat angezeigt.
Medienförderung
In der ersten Lesung beauftragte der Kantonsrat den Regierungsrat, die Förderung des regionalen Journalismus zu prüfen. Der Regierungsrat anerkennt den Handlungsbedarf. Durch den Wandel im Medienkonsum und den Auflagenverlust klassischer Medien wird es immer schwieriger, die Bevölkerung zu erreichen und der Informationspflicht gerecht zu werden. Eine direkte Medienförderung lehnt der Regierungsrat aber ab. Subventionen an Verlagshäuser sind heikel. Sie können die Unabhängigkeit der Medien untergraben und der Pressefreiheit schaden. Eine direkte Medienförderung könnte zudem gegen die in der Bundesverfassung festgeschriebene Wettbewerbsneutralität des Staates verstossen.
Der Regierungsrat spricht sich für indirekte Massnahmen aus. Beispiele dafür sind die an bestimmte Kriterien geknüpfte Subventionierung von Medienabos für junge Bürgerinnen und Bürger oder die Förderung von Ausbildungsprogrammen für Journalistinnen und Journalisten. Solche Ansätze stärken die Rahmenbedingungen für den gesamten Sektor, ohne die Unabhängigkeit der Medien oder die Wettbewerbsneutralität des Staates infrage zu stellen. Ebenso wichtig ist für den Regierungsrat die Medienbildung, die ebenfalls in der Kantonsverfassung festgehalten werden soll. Der Regierungsrat hält es für wichtig, junge Menschen auf die Anforderungen der digitalen Gesellschaft vorzubereiten, insbesondere im Umgang mit sozialen Medien, Fake News und Desinformation.
Eventualantrag
Zu reden gaben in der ersten Lesung auch das Stimmrechtsalter 16 und das kantonale Ausländerstimmrecht. Der Regierungsrat hält diese Anliegen derzeit für nicht mehrheitsfähig. Um die Totalrevision der Kantonsverfassung als Ganzes nicht zur gefährden, aber der Bevölkerung dennoch eine Auswahl zu ermöglichen, schlägt er dem Kantonsrat vor, das Stimmrechtsalter 16 und das kantonale Ausländerstimmrecht als Eventualantrag der Stimmbevölkerung zu unterbreiten. Das heisst, zur Abstimmung kämen eine Vorlage ohne Stimmrechtsalter 16 und Ausländerstimmrecht (Hauptantrag), und eine Vorlage mit beiden Anliegen (Eventualantrag).
Der Regierungsrat hat den überarbeiteten Entwurf für eine neue Kantonsverfassung an den Kantonsrat überwiesen. Zunächst beschäftigt sich die eigens eingesetzte kantonsrätliche Kommission mit dem Entwurf. Danach folgt die 2. Lesung im Kantonsrat. Über deren terminliche Festsetzung entscheidet das Büro des Kantonsrates.
Bericht und Antrag des Regierungsrates zuhanden des Kantonsrates sowie alle die Verfassungsrevision betreffenden Unterlagen können auf der Website des Kantons unter www.ar.ch/kantonsverfassung wie auch auf den Seiten des Kantonsrates www.ar.ch/kantonsrat/geschaeftssuche abgerufen werden.