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Hörproben aus dem Audioarchiv von Stefan Signer

Ein deutscher Plattenproduzent, der an "Underground-Music" interessiert war, stattete um 1971 die Kommune im Mörschwiler Horchental mit erstklassiger Aufnahmetechnik aus. Deshalb sind viele Tondokumente aus Stefan Signers "Freakjahren" vorhanden. Diese wurden in der Schweizer Nationalphonothek in Lugano (www.fonoteca.ch) digitalisiert und in Trogen aufbereitet.

Die nachfolgenden Hörproben hat Stefan Signer für Obacht Kultur Nr. 6 (2010/1) zusammengestellt: neo-dadaistische Klangcollagen, skurriler Sprechgesang, Streichmusik-Experimente, Schlagerparodien, Fusionsversuche von U- und E-Musik mit Titeln wie "Bildstörung", "Gedanken eines neurotischen Fernsehsprechers", "Wasserverschleiss von Silvesterchläusen". Ergänzt mit einigen neuen Aufnahmen und Texten spannt sich mit den Hörproben ein Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. (Auszug aus dem Text von Hanspeter Spörri in der erwähnten Obacht-Nummer, S. 16.)

Die Begleittexte und Bilder zu den Hörproben stammen von Stefan Signer, März 2010.
Originaldatenträger: Revox-Magnetbänder
Digitalisierung: Fonoteca Nazionale Svizzera, Lugano
Schnitt und Aufbereitung: Patrick Lipp, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Trogen; Stefan Signer

Hörprobe 1 (mp3, 1.5 MB; Fonoteca, KBAR 3.14)
Bildstörung
Dezember 1970

Ein Sprechgesangstück, das sich mehr an der zeitgenössischen Musik als der des Rocks orientiert. Einer der vielen Texte, die ich damals schrieb. So auch "Nina's Appartement" (1972) oder Sprechchöre, wie “Neurotic Nations“, ein Text, der sich aus Namen von Medikamenten zusammensetzt, komponiert im Sommer 1970, während ich in London wohnte.

Die Zeit in Untermiete beim Gitarristen Jimmy Boppart und seiner Frau an der Lindenstrasse 76 in St. Gallen war fruchtbar, inspirierend und obskur. Ich installierte in meinem Zimmer eine Art Himmelbett mit Moskitonetz, verbrachte dort viel Zeit mit Lesen oder Diskutieren am Küchentisch. Ich hatte ein käsiges, kleines Kassettengerät und nahm damit auch den Text “Bildstörung" auf. Bei den Aufnahmen drückte ich abwechslungsweise die Tast "Aufnahme" und “Pause“. Daraus resultierten diese Tonschwankungen, die eine Art von besoffenem Zustand darstellten. Später wurde die Aufnahme in Mörschwil aufs Revox überspielt. Der Text drückt subjektiv Lebensempfindlichkeit und Gesellschaftskritik aus.

Aufnahme: Bernardo Vaccaro, Januar 1972.

Bildstörung
schau Mädchen, Mädchen
schau
dein Antlitz ist mir nicht
fremd
ja ja die ganze Kunststoffbemalung –
Kulissengeflüster
Verspricht nicht, was es
Versprechen kann –
Amputierter Geist – oh Mann
Beisst – OM – EGA
yeh yeh yeh yeh
dein sinnlicher Appeal
super infra chic
Chique chiquila zack zack
Action und so
so so
so so so
wo wo wau wu
in Neon-Futztz-City
in Robot-City
Stadt der Steinernen
Gesichter
Stadt der 100 000
Fernsehantennen
Nein
B i l d s t ö r u n g

Hörprobe 2 (mp3, 2.1 MB; Fonoteca, KBAR 3.10)
Gedanken eines neurotischen Fernsehsprechers
Gedanken einer neurotischen Fernsehsprecherin
Januar 1972

Ausschnitt aus einer halb beendeten LP-Sammlung mit dem Titel “Der Untergang des Showbusiness“. Burlesk-abstrakte Texte in ebenso eingefasster Musik, weit entfernt von Rock, Pop und Jazz, dennoch einem Masterplan folgend.
Die Maultrommeln sind dem Fernsehsprecher, die Güügelis der Fernsehsprecherin zugeordnet.

Steff Signer, Güügeli (Toyinstrument). Paul Giger, Maultrommel, Güügeli, Aahs. Angelo Clematide, Maultrommel, Güügeli. Bernardo Vaccaro, Recorder.

Hörprobe 3 (mp3, 5.7 MB; Fonoteca, KBAR 2.L)
Holder Blues
Oktober 1971

Eines der meist gespielten Stücke von Paul Giger und mir in der damaligen Zeit. War es zu Besuch in Kommunen oder beim Trampen durch Europa, der “Holder Blues“ war immer, wie die “Habu Hymne“, Teil unserer Reisen.

Aufgenommen in der "Stube" der Kommune Horchental 509 mit Paul Giger (el. Violine), Steff Signer (12-String-Guitar), Angelo Clematide (Perkussion). – In der “Stube“ stand auch ein von draussen hereintransportierter Gartenzaun mit Wäscheleine. An ihr hingen Röntgenbilder und aufgeblasene Chirurgen-Operationshandschuhe aus Latex.

Hörprobe 4 (mp3, 830 KB; Fonoteca, KBAR 3.R.2)
All psyched out
Januar 1972 (?)

Ein kurzes Stück in Anlehnung an meine damaligen Beatnik-Poeten-Vorbilder ganz im Nachklang der psychedelischen Aera der zweiten Hälfte der 1960er Jahre. Ein grosses Staunen über die Fülle der Welt. Der Titel orientiert sich an einem von Frank Zappa im Life Magazin publizierten Artikel vom 28. Juni 1968: The Oracle Has It All Psyched out. Steff Signer, Backwardsvocals.

Hörprobe 5 (mp3, 4.0 MB; Fonoteca, KBAR 3.7)
Chant No. 2 "Hare Krishna"
Dezember 1971

Infra Steff’s Futztz Live im Kijana Rorschach mit Gurnam Singh als Gastsänger, einem Besucher aus Indien, der einige Zeit in unserer Kommune als Küchenmaler und Tschapatti-Koch weilte.

Steff Signer, el. Gitarre. Paul Giger, el. Violine. Klaus Mezger, el. Bass. Angelo Clematide, Drums. Gurnam Singh, Gesang.

Hörprobe 6 (mp3, 8.0 MB; Fonoteca, KBAR 2)
Der Wasserverschleiss von Silvesterkläusen
Herbst 1971

Frühe Ethno-Auseinandersetzung mit Brauchtum. Diese kollektive Improvisation, genährt durch assoziatives Spielverhalten mit Spielzeuginstrumenten, Geschirr, das zerschlagen wird, Gesängen, Fake-Jodels, etc. ging der Frage nach, wie es sich wohl mit der Transpiration von Silvesterkläusen UNTER dem Gwändli verhält.

Weniger abstraktere Formen im Umgang mit der appenzellischen Tradition fanden sich im Repertoire von Infra Steff’s Futztz: elektrisch gespielte Musik der Streichmusik Alder und Lieder, wie “Vogel Lise“,  aus Adelboden ins Appenzellerland transponiert, “Hexe ond Zwerge i de Urnschäschschlucht“, “De nienet Hannesli“, “Ab em Räässe obenabe“ etc.

Steff Signer und Bernardo Vaccaro, Toyinstruments, Jodel, Gesang, Geschirr

Hörprobe 7 (mp3, 4.7 MB; Fonoteca, KBAR 4.6)
Der Wasserverschleiss im Sinne von Le Roi Ubu
Frühjahr 1972

Aus irgendwelchen Gründen war das Thema “Wasserverschleiss“ immer wieder Aufbruch zu musikalischen Umsetzungen (es existiert ein weiterer, psychedelisch angehauchter “Der Wasserverschleiss“ aus dem Jahr 1972, eine mehr als 17-minütige Improvisation mit el. Gitarre, Bass, Drums, Toyinstruments, Perkussionen, Gesang). Die hier vorliegende Version, auch eine Improvisation, geht in Richtung “Dada-Jazz“ (...wie auch immer...) und entwickelt sich in Aktion/Reaktion-Manier wieder in assoziativen Kleinmustern.

Der Ursprung zu solchen Umsetzungen lag auch im Abfahren auf die Stimmungen in der Musik der frühen “Soft Machine“, “Kevin Ayers“ oder des “Art Ensemble of Chicago“ der Anfänge.

Steff Signer, Wasserglas, Piano, Stimme. Bernardo Vaccaro, Stimme, Toyinstruments, Klaus Metzger, Toyinstruments, Stimme. Angelo Clematide, Drums.

Hörprobe 8 (mp3, 2.3 MB; Fonoteca, KBAR 4.2)
Herzenswunsch
Frühjahr 1972

Ein Ausschnitt aus einer geplanten ersten LP mit dem Titel “Eine Reise ins Glück“. "Herzenswunsch" präsentiert sich als eine Art vierteiliges Medley: Happy Polka (25 Sekunden), Herzenswunsch (36 Sekunden), Stichwort für den heutigen Abend (12 Sekunden) und Happy Tango (28 Sekunden). Die musikalischen Teile, Polka und Tango, sülzig, einlullend, die verbalen Teile demaskierend und provozierend. In “Herzenswunsch“ wird ein Kontaktinserat aus dem Teeny-Magazin BRAVO rezitiert, was dann in die Deklaration sexueller Frustration der Bandmitglieder ausartet. Das Motto des Abends, das Stichwort, wird in zeitgenössisch angehauchtem Sprechgesang als ONANIEREN deklariert. Die Band, eine “Hot-Pant-Teenie-Rock Combo“, die ich dazu zusammenstellte, nannte ich “Marilyn Monroe“, und der Stil war eine Mischung aus Schlagerpersiflagen, Revue, zeitgenössischer Avantgarde und ernster instrumentaler Musik.

Leider beging dann Wolf Humpf, unser Förderer und Produzent aus Deutschland, Selbstmord. Wir hatten uns 1970 mittels eines Inserates gefunden, das ich damals im progressiven Musikmagazin SOUNDS platzierte: “Schweizer Undergroundband sucht Produzenten“ und voilà, wir hatten ihn eine Weile. Wolf Humpf verschaffte uns im Februar 1971 einen wichtigen Auftritt am Connexion Festival im Weissen Haus in München, wo wir mit der deutschen Underground Crème wie Amon Düül. Xhol, Shanti die Bühne teilten.

Steff Signer, Hammond, Narrator. Bernardo Vaccaro, Cheap Electronic Organ. Urs Bosshard, Tenorsax. Klaus Mezger, el. Bass. Angelo Clematide, Drums.

Hörprobe 9 (mp3, 2.0 MB)
Heisser Sand in Phoenix
Mai 1972 und Frühjahr 2010

Die Komposition dieses Titels bedeutet für mich Abschluss einer Aera, Kehrtwendung, Navigationswechsel. Als ich im Mai 1972 aus Afghanistan zurückkehrte, wo ich in Herat Leute von der “Brigade Rosse“ kennen lernte, hatte ich genug von dieser Szene. Genug vom Kiffen, genug vom Kommunenleben, genug von “planloser Praxis musikalischer Umsetzung“. Ich wollte als Komponist wahrgenommen werden und begann nach dem Auszug mit “seriösem Komponieren“. Das Stück, der Urschlamm, aus dem die Zukunft heraufwuchs, hiess “Heisser Sand in Phoenix“, am 18. Januar 1973 während den Jazz Tagen im Africana, St. Gallen als “Grande Finale“ uraufgeführt. “Heisser Sand“ ist ein Schlager, gesungen von “Mina", mit einem Text so banal wie vieldeutig aus dem Jahr 1962 und der “Flug des Phoenix“ ist ein Film aus dem Jahr 1965.

Die am 1. Februar 1973 wieder umgearbeitete Version legte dann den Grundstock für das legendäre “Infra Steff’s Grosser Samstag Orchester“ mit seinem ersten Manager Hampi Spörri. Weil von dieser Komposition keine Aufnahmen vorhanden sind, ich den Geist, der mich damals trug, nochmals erleben wollte, las ich die Originalpartitur vom Mai 1972 ins Programm Finale 2010 ein – und voilà – hier ist sie.

Hörprobe 10 (mp3, 10.8 MB)
De Mo
Winter 2006

Im Winter 2006/7, als der Seelbrand wütete, aus mir Texte und Gesänge protuberierten, half mir mein damaliger musikalischer Freund Mario Tschirky in Rödelheim b. Frankfurt ein kleines Homestudio einrichten. In den folgenden Wochen entstand so die Grundlage zum späteren Buch “Highmatt“ (Limmat Verlag, 2008).

Es entstanden auch Texte, die ich als “LSD-Volkstheater“ oder „Talkling Blues Polka“ bezeichnete, die einen direkten Bezug zur Kommunenzeit in Mörschwil aufzeigen. Sei es in Anspielungen an Vorkommnisse, sei es und vor allem im Umgang mit der Spache und des assoziativen Denkens in LSD-Umgebung, gemischt mit henderländischer Sprache und Umgebung.

“De Mo“ ist neben anderen hörspielaufbereiteten Texten und Liedern Bestandteil der Sammlung “Im trömmlige Trömmel“.

Hörprobe 11 (mp3, 7.6 MB)
Dai, won i herchomm
Winter 2006

Highmatt Deklaration mit Text, Saz, Gesang und tibetischen Alphörnern. Eine überarbeitete Version mit dem Titel “Dömm ond Dämone“ findet sich im Buch “Highmatt“.

Hörprobe 12 (mp3, 3.9 MB)
Rüef de Bruune
Winter 2006

Das alte Lied neu gehört. Eine Version, die ich auf der türkisch-kurdischen Langhalslaute Saz eingespielt habe.

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